Einleitung
Politisch wird derzeit intensiv über Abschiebungen nach Syrien diskutiert.
Das Verwaltungsgericht Köln (VG Köln) hat sich im September 2025 mit einem Fall auseinandergesetzt, der die Zulässigkeit einer solchen Abschiebung betraf. Das Gericht hat die Abschiebung in diesem spezifischen Fall für zulässig erklärt. Dieses Urteil möchte ich Ihnen im Folgenden kurz vorstellen.
Einzelfallcharakter und fehlende Rechtskraft
Zwei Dinge möchte ich vorab erwähnen sind:
Das Urteil bezieht sich strikt auf diesen Einzelfall. Es ging ausschließlich um die Frage, ob dieser spezielle Kläger unter Berücksichtigung seiner spezifischen Lebensumstände in die Region Syriens abgeschoben werden durfte, in die er verbracht werden sollte. Dass das Gericht die Abschiebung in diesem Fall für zulässig erklärt hat, bedeutet nicht, dass alle Syrer abgeschoben werden dürften.
Der zweite Punkt betrifft die Rechtskraft: Das Urteil ist zum Zeitpunkt dieser Darstellung noch nicht rechtskräftig. Es ist somit möglich, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) die Entscheidung noch abändert.
Sachverhalt
Der Kläger in dem Verfahren ist ein syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im August 2023 in Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte seinen Antrag ab und drohte ihm die Abschiebung an.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mann Klage. In seiner Klage führte er aus, er habe Anspruch auf internationalen Schutz; selbst wenn er nicht asylberechtigt sei, dürfe Deutschland ihn nicht nach Syrien abschieben, da dies zu einer Verletzung seiner Grundrechte führen würde.
Rechtliche Bewertung
Mit diesen zentralen Fragen hat sich das Verwaltungsgericht beschäftigt. Das Gericht prüfte zunächst der Reihe nach die Gründe, aus denen sich ein Bleiberecht ergeben kann.
Es existieren verschiedene Kategorien von Personen, die in Deutschland aus humanitären Gründen geschützt werden und die dann zu ihrem Schutz im Bundesgebiet verbleiben dürfen. Das Verwaltungsgericht prüfte, ob der Kläger in eine dieser Kategorien fällt beziehungsweise zu einer dieser geschützten Gruppen gehört.
Selbst wenn jemand nicht zu einer dieser Gruppen gehört, kann es ein Abschiebeverbot geben – etwa weil der Person bestimmte Verletzungen von Grundrechten drohen, falls sie abgeschoben wird. Auch dies hat das Verwaltungsgericht sorgfältig geprüft.
Die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft
Zuerst ging es um die Frage, ob der Kläger die Kriterien für eine geschützte Person erfüllt.
Das Gericht prüfte zuerst, ob der Kläger Flüchtling war. Wenn jemand Flüchtling im Sinne des Gesetzes ist, genießt er in Deutschland Schutz. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkennt ihn in diesem Fall als Flüchtling an. Der anerkannte Flüchtling erhält sodann eine Aufenthaltserlaubnis und darf, zumindest befristet, in Deutschland verbleiben.
Das Verwaltungsgericht Köln prüfte daher, ob der Kläger die Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Die Definition des Flüchtlings ist in § 3 des Asylgesetzes festgelegt. Dort ist bestimmt, dass Flüchtling ist, wer aus begründeter Furcht vor Verfolgung in ein anderes Land flieht. Maßgeblich ist somit, dass eine Verfolgungshandlung vorliegt.
Der Kläger hatte geltend gemacht, dass sich eine Verfolgung daraus ergibt, dass er in Syrien einer Art Militärpflicht unterliegt. Der Kläger stammt aus dem Nordosten von Syrien. Der Nordosten Syriens wird von der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien kontrolliert. Hierbei handelt es sich um eine De-facto-Regierung und Verwaltung, die vor allem von kurdischen politischen Kräften geleitet wird. Die Autonome Administration verfügt über einen militärischen Arm, die Syrian Democratic Forces.
Die Autonome Administration hat eine sogenannte Selbstverteidigungspflicht eingeführt. Männer zwischen 18 und 26 Jahren müssen ein Jahr lang Dienst bei den Selbstverteidigungskräften leisten. Die Selbstverteidigungskräfte sind eine militärische Einheit, die den Syrian Democratic Forces Unterstützung leisten. Sie sind in der Regel nicht unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt.
Die zentrale Frage war nun, ob es für den Kläger eine Verfolgungshandlung darstellt, dass er diesen Dienst leisten muss. Das Verwaltungsgericht Köln verneinte dies. Die Selbstverteidigungspflicht stellt aus Sicht des Gerichts eine Art von Militärdienst dar, welcher als staatsbürgerliche Pflicht anzusehen ist. Das Bestehen einer solchen Pflicht begründet keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes.
Damit ist der Kläger aus Sicht des Gerichts kein Flüchtling.
Die Prüfung des Subsidiären Schutzes
Im Anschluss setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob dem Kläger subsidiärer Schutz zuzuerkennen ist. Auch wenn jemand kein Flüchtling ist, kann er Schutz genießen, wenn ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dies wird als subsidiärer Schutz bezeichnet. Der subsidiäre Schutz ist in $§ 4$ Asylgesetz geregelt. Die Vorschrift basiert auf einer EU-Richtlinie, in der die EU den Mitgliedsstaaten Vorgaben dazu gemacht hat, unter welchen Voraussetzungen Personen internationalen Schutz genießen sollen.
Nach § 4 Asylgesetz genießt eine Person subsidiären Schutz, wenn ihr in ihrem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht durch die Todesstrafe, durch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder durch eine ernsthafte individuelle Bedrohung durch einen Konflikt.
Das Gericht muss sich demnach ein Bild von der Gefahrenlage für den Betroffenen verschaffen. Dabei stützt es sich auf Berichte internationaler Organisationen, von Nichtregierungsorga-nisationen oder von Regierungsstellen. Auf dieser Grundlage versucht das Gericht einzuschätzen, wie hoch das Verletzungsrisiko für den Kläger ist. Im Falle des Klägers gelangte das Gericht zu der Auffassung, dass das Risiko für ihn nicht so groß ist, dass ihm internationaler Schutz zusteht.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass es im Nordosten von Syrien noch vereinzelte Gefechte zwischen der syrischen Nationalarmee und dem militärischen Arm der Autonomen Verwaltung gibt. Außerdem stellt das Gericht fest, dass dort der Islamische Staat noch nicht vollständig besiegt ist. Es ist jedoch der Auffassung, dass die Anzahl der konfliktbedingten zivilen Opfer relativ gering sei. Deshalb sei auch die Wahrscheinlichkeit nicht besonders hoch, dass der Kläger Gewalthandlungen zum Opfer fallen könnte.
Aus diesem Grunde müsse ihm kein subsidiärer Schutz gewährt werden.
Das Abschiebungsverbot nach Aufenthaltsgesetz
Schließlich setzte sich das VG noch mit der Frage auseinander, ob ein Abschiebungsverbot besteht. Die Frage, ob jemand Schutz genießt und deshalb ein zeitweiliges Bleiberecht hat, ist von der Frage zu unterscheiden, ob jemand in ein bestimmtes Land abgeschoben werden kann.
Es gibt Konstellationen, in denen jemand keinen Anspruch auf Asyl, keinen Flüchtlingsstatus und auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz hat. Damit hat er eigentlich auch kein Recht, in Deutschland zu bleiben. Jedoch würde eine Abschiebung in das Herkunftsland Verletzungen seiner Grundrechte zur Folge haben. Und Deutschland als Rechtsstaat darf nicht dazu beitragen, dass es zu solchen Grundrechtsverletzungen kommt. Deshalb sieht das Aufenthaltsgesetz in bestimmten Fällen Abschiebeverbote vor. Die betroffene Person hat dann zwar kein Bleiberecht, wird aber geduldet, weil eine Abschiebung mit Grundrechtsverletzungen verbunden wäre.
Diese Abschiebeverbote sind in $§ 60$ des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Einerseits darf jemand nicht abgeschoben werden, wenn die Abschiebung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen würde. Ferner soll die Abschiebung unterbleiben, wenn für den Betroffenen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben bestehen würde. Diese Abschiebeverbote überschneiden sich in manchen Fällen mit den Voraussetzungen des internationalen Schutzes – jedoch nicht immer. Deshalb müssen sie noch einmal gesondert geprüft werden.
Das Verwaltungsgericht Köln befasste sich deshalb mit der Frage, ob eine Abschiebung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde, namentlich gegen das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Dabei prüfte das Gericht, ob die Lebensbedingungen des Klägers im Fall einer Abschiebung nach Syrien so schlecht sein würden, dass die Abschiebung gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung verstoßen würde.
Das Gericht führt aus, dass schlechte humanitäre Bedingungen in dem Land, in das abgeschoben werden soll, nur dann gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung verstoßen, wenn die Bedingungen ganz ungewöhnlich schlecht sind. Es komme darauf an, ob der Kläger seine elementarsten Bedürfnisse auf absehbare Zeit befriedigen könne.
Hierzu stellte das Gericht fest: Die wirtschaftliche Lage in Syrien ist zwar extrem schlecht. Es gibt aber auch einige positive Entwicklungen, etwa Maßnahmen mit Unterstützung der Weltbank. Der Kläger könne bei seiner Frau leben. Deshalb werde er keine Kosten für Miete haben. Der Kläger sei ein gesunder junger Mann mit Erfahrung als Handwerker. Deshalb sei davon auszugehen, dass er als Tagelöhner arbeiten könne. Außerdem habe er Anspruch auf Rückkehrhilfen.
Das Gericht geht daher davon aus, dass der Kläger in Syrien zwar sehr arm sein werde, aber nicht in existentieller Not leben müsse. Vor diesem Hintergrund gelangte das Gericht zu der Auffassung, dass eine Abschiebung nicht gegen die EMRK verstoßen werde.
Deshalb hält das Gericht die Abschiebung für zulässig.